Als Hans starb war ich vollkommen lost. Wie Diejenigen die vielleicht schon einmal in einer ähnlichen Situation waren, wissen, befindet man sich die ersten Tage und Wochen in einer Bubble, in der man kaum rationale Überlegungen anstellen kann.
Das Hirn schaltet auf Autopilot, der Körper spielt mit, oder auch nicht. So hatte ich wenige Tage vor Hans Begräbnis einen Fieberschub, der als positiven Nebeneffekt mich eine Nacht lang schlafen liess.
4 Wochen nach seinem Tod war Weihnachten. Meine Cousine hat mich zu ihr eingeladen, ich war wirklich sehr dankbar darüber. Aus unterschiedlichen Gründen jedoch, war ich bereits gegen 18 Uhr wieder alleine.
Ich wollte einfach nicht in die leere Wohnung, wollte nicht an den beleuchteten Fenstern vorbei. Also bin ich in der Dunkelheit am Heiligen Abend 2022 durch die Lobau gegangen. Daheim angekommen fasste ich folgenden Entschluss:
Ab 25.12.22 für die nächsten 30 Tage werde ich täglich 10.000 Schritte machen.
So fing es an - auch an Silvester war ich unterwegs. Ich kann mich noch gut daran erinnern, und Garmin hat es genau dokumentiert. Am 31.12.22 waren es gesamt 28.137 Schritte mit 15,5km.
Nach 30 Tagen hatte ich das Gefühl, das war noch nicht genug, also bin ich weiter dran geblieben. Ob Regen, Schnee, Wind oder Sonnenschein, ich ging bei jedem Wetter. Auch habe ich körperliche
Beschwerden einfach ausgeblendet. So war ich im Frühling 2023 mit einer Mandelentzündung genauso unterwegs, ebenso nach einer Zahn-OP uws.
Gehen war/ist ein großer Teil meiner Trauerbewältigung. Ich hätte auch laufen oder sonst etwas wählen können, aber einerseits spielte bei manchen Aktivitäten mein Körper nicht mit, andererseits war Gehen für mich das bestes Mittel. Mal schnell, mal langsam, mit Begleitung oder ohne, telefonierend oder Sprachnachrichten verschickend, Podcast hörend oder einfach nur den Moment auf mich wirken lassend.
Seitdem sind 672 Tage mit 5.729,1 km vergangen.
Heute an meinem Geburtstag hätte ich nicht alleine sein müssen, wunderbare Menschen hätten mich besucht, auch hätte ich die Möglichkeit auf eine spontane Einladung gehabt. Ich hätte mich auf diese Dinge auch gefreut aber mein lieber Körper hat etwas anderes mit mir vor. Im Moment streikt meine rechte Hüfte, ich nehme stark an, es ist eine Zerrung oder ich hab mal wieder eine Schleimbeutelentzündung im Gelenk. Jedenfalls ist Gehen gerade nicht wirklich schmerzfrei.
Aber - ja die Sabine-Kennerinnen wissen was kommt, ich habe die Challenge weitergeführt. Ich will mich einfach, so lange ich es irgendwie kann, nicht unterkriegen lassen. Ich möchte selbst bestimmen, wann es für mich genug ist.
Ich verlange von niemanden anderen ähnliches, aber über mein Tun bestimme immer noch ich. Mein Körper, mein Leben, meine Regeln. Ob es klug ist, diskutiere ich nicht. So lange mein Herz meint, es ist noch nicht genug, so lange werde ich gehen.
Auf vielen Kilometern habe ich geweint, ich habe auf einsamen Wegstrecken meine Wut, meinen Zorn, meine Schmerzen herausgebrüllt. Ich habe mir unzählige Gedanken gemacht, warum ich so absolut niemanden habe, der mit mir über Hans spricht, weint und lacht.
Ich war wütend auf die Welt und habe lange an dummen Vorstellungen festgehalten. Irgendwann nach für mich absolut nicht nachvollziehbaren Handlungen von Familie und Bekannten, die mich wieder sehr verletzt hatten, nach sehr direkten Fragen dazu von wunderbaren, ehrlichen Menschen, habe ich begonnen, meine Wunschvorstellungen anders zu beleuchten. Was wäre wenn es so eintreffen würde wie von mir gewünscht? Würde mich das zufriedener machen? Möchte ich diese Menschen denn überhaupt fix und dauerhaft in meinem Leben? WARUM stelle ich mir das so vor?
Fuck - das war echt eine herausfordernde Zeit - die Reise- das Gehen - zu mir und ich bin noch immer unterwegs.
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